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Meine 2 Cent zur Ukraine und Krim

xafford / 19 Antworten / Flachansicht Nickles

Eigentlich vermeide ich es in den letzten Jahren mich politisch zu äußern und was ich hier jetzt schreibe hat auch nichts mit meiner Funktion als Webmaster von Nickles zu tun, sondern es ist schlicht meine Meinung als private Person und Individuum.

Ich will zuerst einmal einige Monate zurück gehen in der Geschichte. Bis vor einiger Zeit hatte die Ukraine einen gewählten Präsidenten, den ich persönlich als korrupten Gangster klassifizieren würde - sofern mich jemand nach meiner persönlichen Meinung fragen würde. Aber dies hielt keinen der Politiker ab, sich darum zu bemühen ihn zur Unterschrift unter einen EU-Assoziationsvertrag zu drängen - er war ja schließlich ein gewählter Präsident.

Wer diese Sache verfolgt hat weiß, dass Janukowitsch - der nun Ex-Präsident - irgend wann seine Meinung zur Annäherung an die EU und seine Unterschrift unter den Assoziations-Vertrag änderte und diesen nicht unterschrieb. Statt dessen orientierte er sich gen Osten Richtung Russland. Dies war der Funke, der für die Proteste in Kiew sorgte.

Ich will jetzt einiges überspringen und auch nicht die Gerüchte über eine Verwicklung westlicher Regierungen und Geheimdienste in die Proteste ins Spiel bringen oder die westliche Unterstützung für die Protestierenden - dies tut nur am Rande zur Sache (nicht weil es unerheblich wäre, sondern weil vieles davon zum Teil auf Vermutungen basiert). Jedenfalls führten die Proteste zum Sturz des amtierenden Präsidenten. Infolgedessen bekam die Ukraine eine neue Regierung. Diese ist zwar nicht vom ukrainischen Volk gewählt worden und zumindest ein nicht unerheblicher Teil davon setzt sich auch aus Gangstern zusammen, aber zumindest sind diese Gangster Pro-Europäisch. Man darf deswegen spekulieren, ob dieser Umstand dafür verantwortlich ist, dass die Regierungen der EU diese sofort als legitim ansahen. Aber egal, rein objektiv betrachtet wurde ein gewählter Präsident abgesetzt und durch eine nicht demokratisch legitimierte Regierung ersetzt.

Dann kam Russland ins Spiel und die Krim. Auch hier will ich nicht ins Detail gehen mit geschichtlichem Hintergrund der Krim und deren Zugehörigkeit über den Verlauf der letzten Jahrhunderte oder die vertraglichen Regelungen zur Schwarzmeerflotte und dem Zugang zu einem dauerhaft eisfreien Hafen oder die Erdgas-Pipelines - das würde zu weit führen. Fakt ist, dass Russland schlicht und ergreifend die Krim einfach besetzte mit Spezialeinheiten ohne Hoheitszeichen - da kann Putin noch so sehr leugnen - ein klar völkerrechtswidriger Akt. Ab hier ist wohl jeder auf dem Laufenden, denn es kommt in allen Medien. Russland hat die Krim quasi annektiert (auch das Referendum lasse ich jetzt einmal außen vor).

Jetzt werden sich die meisten Fragen, warum ich so viele Worte mache und worüber ich mich eigentlich aufrege - ganz einfach - der Gleichschritt der Medien und der großen Partien in dieser Sache. Einerseits keinerlei Kritik an der Rolle der EU und der USA in dieser Sache zulassen wollen und Politiker, die diese üben öffentlich zerreißen, andererseits Russland als alleinig schuldigen darstellen. Wenn man es einmal ohne Scheuklappen betrachtet, dann hatte die EU keine Probleme damit einen Vertrag mit einem Gangster einzugehen und hat auch kein Problem damit sich mit einer nicht gewählten Regierung zu verbünden und diese zu unterstützen. Auf der anderen Seite wird eine (wenn auch nur bedingt demokratische) Abstimmung über eine Autonomie (auch wenn der Begriff nur bedingt passt) mit extrem hoher Zustimmung kategorisch abgelehnt (eigentlich hat auch niemand die Krim befragt, ob die neue Regierung legitim ist).

Wenn man dann noch so Nachrichten liest, wie dass ein neues Regierungsmitglied der Ukraine den Redakteuren eines Nachrichten-Senders mit Gewalt zum Rücktritt seines Postens gezwungen hat, oder dass eine Grüne-Politikerin den Rücktritt des (russisch stämmigen) Intendanten(?) der Berliner Philharmonikern(?) fordert, weil er seine Meinung geäußert hat, dann frage ich mich wirklich ob hier moralisch irgend eine Seite das Recht hat sich zu äußern.

Nachtrag zur Klarstellung: Ich finde es gut, dass Janukowitsch aus dem Amt ist. Ich finde es gut, dass die Krim über ihr eigenes Schicksal entscheiden konnte. Ich verurteile die militärische Aktion Russlands auf der Krim (und Gott weiß, was da noch kommen wird). Aber ich kann wirklich nicht in den Chor der Heuchler in unserer Regierung, der EU, der USA und den Medien einstimmen, die jeden brandmarken, der auch nur versucht eine differenzierte Meinung zu äußern - ich fühle mich gerade ein bisschen an 1914 und 1939 erinnert.

PS: Es kann sein, dass ich diesen Beitrag wieder löschen werde denn ich bin mir immer noch nicht sicher ob es eine gute Idee ist meine Meinung hier zu äußern.

Pauschalurteile sind immer falsch!!!
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gerhard38 xafford „Meine 2 Cent zur Ukraine und Krim“
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Jedenfalls führten die Proteste zum Sturz des amtierenden Präsidenten

Da machst du dir das aber etwas einfach. Tatsächlich - Pressemeldungen zufolge - war es ein großes Thema, ob der amtierende Präsident gemäß Verfassung der Ukraine überhaupt abgesetzt werden kann. Er wurde de facto "vertrieben" bzw. er ergriff vorsichtshalber die Flucht - aber rechtens abgesetzt wurde er demnach nicht, er wäre somit noch immer Präsident, und somit ist die Nachfolgeregierung auch nicht "rechtens" im Amt. Und nach russischen Angaben hat Janukowitsch - aus russischer Sicht noch immer rechtmäßiger Präsident - die Russen um Hilfe gebeten.

Was den russischen Einmarsch betrifft: Da die Schwarzmeerflotte auf der Krim liegt gab es eine Sonderregelung, die es russischem Militär erlaubt, durch die Krim zu ihrem Hafen zu kommen. Wie diese Regelung genau aussah, welche Kontingente ganz regulär dort sein dürfen, und ab welchem Zeitpunkt ein "Einmarsch" bzw. Okkupation beginnt, weiß ich allerdings nicht. Sicher ist allerdings, dass diese Regeln nicht vorsahen, dass ukrainische Kasernen in der Krim umstellt werden.

Die neue Regierung - vorgeblich "westlich" orientiert -, hat es geschafft, als eine der ersten Handlungen gleich einmal ein Gesetz zu erlassen, dass Russisch als zweite Amtssprache abgeschafft wird. Die 2 Millionen russischsprachiger Einwohner auf der Krim werden begeistert gewesen sein! Das hat im "Westen" zu keinem kollektiven Aufschrei über die Verletzung von Minderheitenrechten geführt.

Es hat auch zu keinem Schuldbewusstsein im "Westen" geführt, dass die soeben noch mit Janukowitsch und Russland am Vortag getroffenen Vereinbarungen vom Tisch waren, sobald Janukowitsch "vertrieben" war.

Unter diesen Randbedingungen kann man durchaus die Frage stellen, auf welcher Seite mehr Unrechtshandlungen gesetzt wurden.

Was mich aber am meisten ärgert: 1. die parteiische Information in unseren Medien und 2. dass der unbezweifelbare Wunsch einer überwältigenden Mehrheit der Krimbewohner, zu Russland gehören zu wollen, ignoriert wird. Das ist keine Frage, ob die Russen in der Krim einmarschiert sind oder ob das Referendum nach unseren Standards ablief - auch ohne Russen und nach unseren Standards mit Wahlbeobachtern etc. etc. bin ich sicher, dass das Ergebnis kein anderes gewesen wäre. Auch wenn die Verfassung der Ukraine so ein Referendum bzw. so eine Abspaltung nicht vorsieht: Da sind 2 Millionen Einwohner auf einem bestimmten Gebiet, die sich anders orientieren wollen - gesetzlich / verfassungsmäßig gedeckt oder nicht. Die Menschen dort sind samt dem Boden, auf dem sie leben, weder Eigentum der Regierung der Ukraine noch Eigentum des "Westens". In unseren Medien wird ausschließlich von der "unrechtmäßigen" Loslösung der Krim gesprochen - nicht jedoch davon, wieso man dem Volkswillen nicht einfach Rechnung trägt - ob's einem nun passt oder verständlich erscheint oder auch nicht (für mich war es auch eine völlig überraschende Erfahrung, dass jemand lieber zu Russland als zum "Westen" gehören will). 

Gruß, Gerhard

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