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WillyBrandAllee

pco / 12 Antworten / Baumansicht Nickles

Kapitel 1 - Die Wahl


Es gab da einmal ein Land in dem regierten die Unfähigen und die intelligenten interessierte das nicht. 


Das Land von dem ich spreche, das war die BRD und ich habe darin gewohnt...


Da gab es ein Gremium, das nannten sie Bundestag und in diesem Bundestag sassen Abgeordnete. Der Begriff Abgeordneter bedeutet soviel wie "Gesandter", also jemand, der von jemand anderem dorthin geschickt wurde.
Geschickt hat diese Abgeordnete nicht etwa der liebe Gott oder der Teufel, wie mancher vermuten mag, sondern diese Leute sind vom Volk gewählt worden. Der Chef dieser Abgeordneten, das ist der Bundeskanzler und auch der ist irgendwie gewählt worden.


Gewählt wurde alle vier Jahre. Das bedeutet, alle vier Jahre haben die Bundesrepublikaner, von mir liebevoll "die Deutschen" genannt, die Chance gehabt Abgeordnete, die sie nicht mochten los zu werden.
Nun war Abgeordneter oder gar Bundeskanzler in der BRD zu sein ein grosses Privileg, darum wollte jeder mal. Darum entbrannte alle vier Jahre ein Streit, den die Deutschen "Wahlkampf" nannten.
Weil sich gemeinsam besser Kämpfen lässt, gründeten sie Mannschaften. Mannschaften oder auch Teams das sind Begriffe aus dem Sport. Da es nun im Wahlkampf nicht besonders sportlich zugeht, nennt man die Teams hier nicht Mannschaften, sondern Parteien. Im  Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt und in beiden Fällen spricht man nicht von Teams, sondern von Parteien.
(Wäre auch lächerlich: Wer erinnert sich nicht an diese tolle Schlacht, in der Team Frankreich gegen Team Russland verlor?...)
Eine der Parteien, das war die SPD. SPD, das steht für Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Ein andere, das war die CDU/CSU. CDU, das steht wiederum für Christlich demokratische Union. Wichtig waren auch die FDP, das steht für Freie Demokratische Partei, die PDS, das war die Partei Deutscher Sozialisten und die Grünen.


Nun waren die SPD-Abgeordneten die letzten vier Jahre gar nicht so sozialdemokratisch, wie ihr Name erahnen lässt und es bestanden in der Bevölkerung auch berechtigte Zweifel, dass in der CDU/CSU Christen waren. Die FDP-Abgeordneten waren wiederum gar nicht so frei, die Partei der Sozialisten waren nicht sozial und die Grünen-Abgeordneten nicht grün sondern welk.


Also ein grosser Schwindel war das sogenannte "Parlamentarische System". Denn jeder log und wurde belogen. Nun wäre es ja im Interesse aller gewesen, dass das dem Volk nicht zu Ohren kommt, aber ganz im Gegenteil, die Herren Parlamentarier warfen sich gegenseitig ihre Lügerei auch noch vor.


Kapitel 2 - Die Legislaturperiode


Stellen Sie sich vor, sie arbeiten in einer grossen Fabrik am Fliessband. Ganz oben im Kontrollraum sehen sie ein paar Leute in weissen Kitteln und die Diskutieren und entscheiden, was Sie zu Arbeiten habe. Sie modifizieren die Maschinen, die Stundenzeiten, den Arbeitseinsatz und dabei diskutieren sie wie wild. Und Sie? Sie wünschen sich nicht sehnlicher irgendwann einmal ein solcher Mann im Kontrollraum zu sein. Nun strengen sie sich an und irgendwann stehen sie vorm Schaltschrank und haben es geschafft.
Der Schaltschrank ist ein grosses metallenes Ding, mit sehr vielen Schaltern, Schiebereglern und Knöpfchen, die sie alle nicht kennen. Es wird immer schön abgestimmt im Raum. Sie vertrauen einfach dem "Stärksten" im Raum und das ist der Chef und wenn der Chef sagt, an  dem grünen Regler wird gedreht, dann stimmen Sie ihm zu. Nun ist er nicht der einzige "Chef" im Raum. Es gibt noch andere...


Regelmässig entscheiden die Arbeiter des Werkes, wer für die nächsten vier Jahre Chef im Kontrollraum wird.
Da keiner genau weiss, wie der grosse Schaltschrank wirklich funktioniert und die Arbeiter der Fabrik sehr sehr unzufrieden sind (sie sind im allgemeinen übrigens immer unzufrieden), verspricht jeder Chef, er würde es besser machen als der andere, indem er an anderen Schaltern am Schrank dreht und die Schalter, die sein Vorgänger gedreht hat, wieder zurückdreht.
Weil Sie ihm immer zustimmen ernennt der Chef sie irgendwann zu seinem Stellvertreter und irgendwann geht der Chef und sie treten an seine Stelle. Natürlich kennen sie sich auch nicht mit dem Schrank aus und deshalb erzählen sie den Leuten das selbe, was Ihr Vorgänger erzählt hat: Weniger Stress und mehr Lohn für alle, weil Sie jetzt an den richtigen Reglern drehen werden...


Dieses sehr sinnbildliche Beispiel zeigt die Situation in der BRD. Jeder darf mal 4 Jahre lang Knöpfchen drehen und beten, dass das funktioniert. Dies Zeit des "Knöpfchendrehens" nennt man Legislaturperiode.

Das paradoxe an dieser Situation ist, dass das drehen an den Knöpfchen rein gar nichts bewirken kann, da schon vor 20 Jahren die Sicherung des Schaltschrankes durch eine Büroklammer ersetzt wurde und so die komplizierten Schaltungen und Drahtgewirre im Schaltschrank zu einem undurchschaubaren Durcheinander verschmolzen sind.


Kapitel 3 - Die Wahl steht vor der Tür


Jedes Jahr wird unsere Katze rollig. Was die Katze und die Parteien gemeinsam haben ist ihr völlig irrationales Verhalten in dieser Zeit. Wenn zum Beispiel ein FDP-ler rollig war, dann beschimpfte er ein intelligentes Arschloch welches sich hinter seiner Religion versteckte und zog ein wenig über seine Religion her. Und wie meine Katze, die im Frühjahr und im Herbst einmal rollig wird, wurde auch er genau zu dieser Jahreszeit rollig. Folge: Keiner mochte ihn mehr.
Aber auch die Mädels der SPD drehten am Rad (wahrscheinlich auch rollig). Zum Beispiel Frau Deutschle-Gemahlin. Sie beleidigte mal eben 2 Tag vor der Wahl den Präsidenten des Vereinigten Reiches von Amerika indem sie Ihn mit einem längst verstorbenen Österreicher verglich. Der Amerikaner-Chef reagierte zu recht ungehalten, trug er doch die besseren Anzüge.
Wenn der CDU-ler in seine Wahlrolligkeit verfiel, dann änderte er plötzlich völlig sein Auftreten. Aus schüchterner Zurückhaltung wurde Herausforderung, aus professioneller Argumentation wurden emotionsgeladene Sticheleien und aus Stoiber wurde Bayern-Ede.
Da lob ich mir noch unseren rolligen Verteidigungsminister...
Die beiden oberrolligen Chefs liessen sich im Fernsehen blicken und wollten ein Rededuell führen.
Das war ein Duell sage ich Ihnen. Es wurde abwechselnd geschossen, immer auf den jeweils anderen. Doch da sich beide irgendwie nicht treffen wollten, wars ein langweiliges Duell. Das nächste mal bin ich für russisches Roulette.
Und es kam wie es kommen musste. Der möchte-gern-neue-Chef warf dem ehemaligen Chef vor, nicht zu wissen, an welchen Rädchen und Reglern er drehen muss und behauptete, er wisse genau, welches Rädchen er drehn muss, damit alles gut wird. Zuerst müsse man aber mal alle Rädchen wieder zurück drehen. ...


Kapitel 4 - Die Wahl läuft


Eine Wahl in diesem Land, der BRD, muss man sich vorstellen wie ein Feuerwerk. So zündete die FDP die "Wir versuchen die Wahl noch in der letzten Stunde zu retten"-Rache-Rakete, während die CDU/CSU die "Vorfreude2002"-Rakete abknallte. Die schönsten Effekte hatte allerdings die Rakete von SPD mit ihren "Rot" und "Grüns". Die PDS-Raketen blieben allerdings am Boden, da der Mann mit der Zündschnur bereits vor Monaten abgehauen ist.


Kapitel 5 - Die Wahl ist gelaufen


Die SPD gewann die Wahl. In einem Land wie der BRD, da feierten jedoch nicht die Gewinner, sondern die Verlierer ihren Sieg. Und so knallten in der Parteizentrale der CDU/CSU die Sektkorken und es wurde gejubelt und gelacht ob der verlorenen Wahl.
Eine etwas eigenewillige Art ihre Niederlage zu feiern hatte die FDP, sie schmiss ihren Vize-Chef raus und danach gingen die Herren Abgeordneten wohl zu Bett...


Kapitel 6


Es gab da einmal ein Land in dem regierten die Unfähigen und die intelligenten interessierte das nicht. 


Das Land von dem ich spreche, das war die BRD und ich habe darin gewohnt...


... und wenn mich einer fragen sollte, wie es war. Es war die merkwürdigste Zeit meines Lebens.

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Anonym pco „WillyBrandAllee“
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in solchen momenten frage ich mich, warum nicht werke dieser art im unterricht benützt werden.
"da feierten jedoch nicht die Gewinner, sondern die Verlierer ihren Sieg" - wer erkennt das stilmittel ? - herrjee, sogar fürn deutsch-unterricht würde es sinn machen.

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GarfTermy pco „WillyBrandAllee“
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...danke - sehr feinsinniger lesestoff.

The two basic principles of Windows system administration: For minor problems, reboot For major problems, reinstall
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Soulmann63 pco „WillyBrandAllee“
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Sehr Gut!!! Das müsste man eigentlich Schröder & co. zu kommen lassen.
Aber ob die das verstehen!?!? Hmmm...

*_Ihr seit nicht Vergessen G P - Knoeppken _*
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checksum Soulmann63 „Sehr Gut!!! Das müsste man eigentlich Schröder co. zu kommen lassen. Aber ob...“
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Du scheinst Dir sicher zu sein, daß Stoibi diese Zeilen erst gar nicht lesen würde. Logisch hat er dann keine Probleme mit dem Verstehen.
nix für ungut.

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Olaf19 pco „WillyBrandAllee“
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Bemerkenswert: Zwei haben vor mir auf dieses Posting geantwortet.
Zwei, die sich in den vorangegangenen Debatten hier im OT klar und deutlich als Anhänger völlig unterschiedlicher politischer Auffassungen erklärt haben. Und doch sind sich beide einig in der Bewertung dieses politischen Kommentars.

Das sagt wohl alles über dessen Qualität.

Respekt PCO!

Die Welt ist ein Jammertal ohne Musik. Doch zum Glueck gab es Bach, Beethoven, Haendel und Goethe (Helge Schneider)
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Olaf19 Nachtrag zu: „WillyBrandAllee“
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...aber als ich auf "Aushängen" gedrückt habe, waren es wirklich erst zwei...

Die Welt ist ein Jammertal ohne Musik. Doch zum Glueck gab es Bach, Beethoven, Haendel und Goethe (Helge Schneider)
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checksum pco „WillyBrandAllee“
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Nenne er mir ein Land in welchem die Intelligenten regieren und die Unfähigen ob Ihrer Unfähigekeit schweigen.

Aber im Ernst, Du hast mir den Feierabend versüsst. Schön mal sowas zu lesen :-)))

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gelöscht_84526 pco „WillyBrandAllee“
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Tolle Sache...Aber ich hab da mal ein paar Fragen: Wo wohnst du jetzt? Und wie sieht es dort aus? Ist es dort nicht ähnlich, nur dass die Parteien (oder sollte ich sagen: Teams) und die Abgeordneten andere Namen haben? Sowas, wie du es hier beschreibst, spielt sich wohl - traurigerweise - in jedem mehr oder weniger zivilisierten (?!?!) Land ab...

Mit nachdenklichem Gruß
K.-H.

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pco gelöscht_84526 „Tolle Sache...Aber ich hab da mal ein paar Fragen: Wo wohnst du jetzt? Und wie...“
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Ich wohne in der Zukunft...

... nein. Aber es ist schon schwierig, sich vorzustellen, wie ich in 40 Jahren jemandem die heutige Zeit erklären sollte.

Salute

PCO

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Olaf19 pco „Ich wohne in der Zukunft... ... nein. Aber es ist schon schwierig, sich...“
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Meinst Du, es wird in 40 Jahren sehr viel anders sein? Oder gar besser?
Blickt man stattdessen 40 Jahre zurück, in die Ludwig-Erhard-Zeit: War es damals anders als heute?

Ich glaube, was Du in Deinem Text beschrieben hast und was hier ein so einhellig positives Echo gefunden hat, das sind nichts anderes als die eisernen Gesetze einer jeden parlamentarischen Demokratie.

Die hat ihre Schwächen, und der Schuh drückt mitunter ganz gewaltig.
Es bleibt die Frage, ob und welche wünschenswerte Alternative es dazu gitbt.

CU
Olaf

Die Welt ist ein Jammertal ohne Musik. Doch zum Glueck gab es Bach, Beethoven, Haendel und Goethe (Helge Schneider)
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Thomas G pco „WillyBrandAllee“
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Ganz toll gemacht pco! Ein wirklich gut geschriebener Text. Humorvoll und auch intelligent - sowas macht Spaß.

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Borlander pco „WillyBrandAllee“
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Der Text brint es auf den Punkt :-)

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