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News: Urteil vom Bundesverfassungsgericht

Vorratsdatenspeicherung ist gesetzeswidrig

Michael Nickles / 10 Antworten / Flachansicht Nickles

Trotz heftiger Kritik wurde von CDU, CSU und SPD am 9. November 2007 das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet, am 1. Januar 2008 trat es in Kraft. Internet- und Telekommunikationsanbieter sind seit dem dazu verpflichtet, Verbindungsdaten ihrer Kunden für einen Zeitraum von sechs Monaten rückverfolgbar zu machen.

Bei Telefonaten oder SMS-Kurznachrichten werden also die Rufnummern der Teilnehmer, bei Internet-Verbindungen ihre IP-Adressen protokolliert. Gespeichert werden nur die Verbindungsdaten, allerdings nicht, welche Inhalte übertragen oder abgerufen wurden (wobei das Viele natürlich bezweifeln).

Dabei wurde den Internet-/Telekommunikations-Anbietern bis Anfang 2009 Zeit gelassen, die Gesetzesvorgabe umzusetzen, die dafür nötige Technik zu aktivieren. Durchgewunken wurde die Vorratsdatenspeicherung eigentlich nur zwecks "Kampf gegen Terrorismus".

Allerdings meldete sich auch schnell die "Wirtschaft". Musik- und Filmindustrie forderten recht schnell, dass die gesammelten Daten auch zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen herangezogen werden dürfen (siehe Vorratsdatenspeicherung soll missbraucht werden).

Im vergangenen Jahr ist es um die aktivierte Vorratsdatenspeicherung - wohl aufgrund der Debatten um die Internet-Zensur zum Kampf gegen Kinderpornografie - ruhiger geworden. Jetzt rückt das Thema wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Das Bundverfassungsgericht hat der Vorratsdatenspeicherung eine klare Absage erteilt, sie in ihrer aktuellen Form als verfassungswidrig verurteilt.

So wie sie aktuell praktiziert wird, ist sie mit Datenschutz und dem Recht auf informelle Selbstbestimmung nicht vereinbar, verstößt schwerwiegend gegen das Fernmeldegeheimnis. Die detaillierte Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts gibt es hier: Konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung nicht verfassungsgemäß.

Abgeschafft ist die Vorratsdatenspeicherung durch das Urteil natürlich längst nicht. Die Richter kritisierten die Vorratsdatenspeicherung nicht pauschal als verfassungswidrig, sondern nur die Art und Weise, wie sie aktuell praktiziert wird. Die Regierung ist jetzt also lediglich zum "Nachbessern" gezwungen.

Das dürfte ein komplizierter und langwieriger Prozess werden, da die Bundesregierung unter anderem aufgrund einer EU-Richtlinie zur Einführung des "Stasi 2.0"-Gesetzes verpflichtet wurde.

Michael Nickles meint: Ein gleichermaßen "nettes" wie "sinnloses" Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Jetzt geht halt endlos viel Zeit drauf, um einen Feinschliff am Gesetz durchzuführen, bis es dann schließlich mit neuem "Text" und gleicher "Funktionalität" beibehalten wird.

ENDLICH! schuerhaken
schuerhaken Michael Nickles „Vorratsdatenspeicherung ist gesetzeswidrig“
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Egal, wo man bei diesem Urteil rein fasst: Es knallt und schallt und hallt nur so von heftigen Ohrfeigen und Kopfnüssen.

BVerfG, 1 BvR 256/08
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271
Demgegenüber fehlt es an der für eine solche Datensammlung verfassungsrechtlich gebotenen Gewährleistung eines besonders hohen Sicherheitsstandards. § 113a Abs. 10 TKG statuiert insoweit allein die unbestimmt bleibende Pflicht, durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass der Zugang zu den gespeicherten Daten ausschließlich besonders ermächtigten Personen möglich ist, und verweist ansonsten nur auf die im Bereich der Telekommunikation allgemein erforderliche Sorgfalt. Damit fehlt es an einer Vorschrift, die den besonders hohen Anforderungen an die Sicherheit der umfangreichen und aussagekräftigen Datensammlung nach § 113a TKG Rechnung trägt. Die der Sache nach in Bezug genommenen §§ 88 und 109 TKG gewährleisten einen solchen besonders hohen Sicherheitsstandard nicht, sondern erlauben, ihrem weiten Anwendungsbereich entsprechend, vielfältige Relativierungen. Das gilt insbesondere für § 109 TKG. So hat nach § 109 Abs. 1 TKG jeder Diensteanbieter angemessene technische Vorkehrungen oder sonstige Maßnahmen zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses und der Telekommunikations- und Datenverarbeitungssysteme gegen unerlaubte Zugriffe zu treffen. Zur Bestimmung der Angemessenheit wird dabei auf § 109 Abs. 2 Satz 4 TKG zurückgegriffen (vgl. Klesczewski, in: Säcker, Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 109 Rn. 12). Danach sind die Maßnahmen angemessen, wenn der dafür erforderliche technische und wirtschaftliche Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der zu schützenden Rechte steht. Ausgehend von den oben entwickelten Maßstäben sind hierdurch die spezifischen Anforderungen an den Schutz der gemäß § 113a TKG gespeicherten Daten nicht hinreichend gewährleistet. Der gesetzlich vorgegebene Standard der „angemessenen technischen Vorkehrungen oder sonstigen Maßnahmen“ verlangt lediglich, den Stand der technischen Entwicklung zu „berücksichtigen“ (vgl. § 109 Abs. 2 Satz 2 TKG; Klesczewski, in: Säcker, Berliner Kommentar zum TKG, 2. Aufl. 2009, § 109 Rn. 13), und relativiert die Sicherheitsanforderungen in unbestimmt bleibender Weise um allgemeine Wirtschaftlichkeitserwägungen im Einzelfall. Überdies bleibt die nähere Konkretisierung dieses Standards den einzelnen Telekommunikationsdienstleistern überlassen, die ihrerseits ihre Dienste unter den Bedingungen von Konkurrenz und Kostendruck anbieten müssen.

272
Eine Konkretisierung dieser Anforderungen wird auch nicht in Form von Rechtsverordnungen oder durch Verfügungen der Aufsichtsbehörden sichergestellt. Insbesondere gewährleistet § 110 TKG die Geltung hinreichender Sicherheitsstandards nicht. Zwar können im Rahmen der nach dieser Norm zu schaffenden untergesetzlichen Regelwerke (vgl. § 110 Abs. 2 und 3 TKG) Aspekte der Datensicherheit miterfasst werden. Jedoch enthält diese - primär durch technische Zielsetzungen bestimmte - Norm diesbezüglich weder inhaltliche Standards noch greift sie den Aspekt der Datensicherheit sonst auf. Im Übrigen ist auch zwei Jahre nach Inkrafttreten der Speicherungspflicht des § 113a TKG eine der Neuregelung Rechnung tragende Anpassung der Telekommunikationsüberwachungsverordnung nicht erfolgt. Entsprechend wird auch die - im Dezember 2009 gemäß § 110 Abs. 3 Satz 3 TKG auf der Internetseite der Bundesnetzagentur veröffentlichte (vgl. Bundesnetzagentur, Amtsblatt 2009, S. 4706) - technische Richtlinie zur Umsetzung gesetzlicher Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation und zum Auskunftsersuchen für Verkehrsdaten (TR-TKÜV) gemäß § 110 Abs. 3 TKG erst ein Jahr nach dieser Anpassung wirksam werden (Inhaltsangabe 1 TR-TKÜV; Teil B 1 TR-TKÜV).

273
Eine hinreichende Datensicherheit gewährleistet auch nicht § 109 Abs. 3 TKG. Zwar schreibt die Norm vor, dass Betreiber von Telekommunikationsanlagen Sicherheitsbeauftragte zu benennen und ein Sicherheitskonzept zu erstellen haben, das der Bundesnetzagentur vorzulegen ist. Auch ist danach das Konzept, wenn sich die ihm zugrunde liegenden „Gegebenheiten“ ändern, anzupassen und erneut vorzulegen. Jedoch ist damit ein besonders hoher Sicherheitsstandard nicht verlässlich gewährleistet. So erfasst die Vorschrift allein Anlagenbetreiber, nicht jedoch den gesamten Adressatenkreis des § 113a TKG, der auch andere Diensteanbieter einbezieht. Darüber hinaus verweist § 109 Abs. 3 TKG materiell nur auf die unzureichenden Anforderungen des § 109 Abs. 1 und 2 TKG. Auch ist nicht in hinreichend normenklarer Form eine kontinuierliche und kontrollierbare Anpassung der Sicherheitsstandards an den Stand der technischen Entwicklung gewährleistet. Nicht eindeutig ist insoweit, ob § 109 Abs. 3 Satz 4 TKG auch eine Anpassung an die technische Entwicklung von Schutzvorkehrungen und an sich fortentwickelnde rechtliche Sicherheitsstandards fordert. Jedenfalls fehlt es an der Verpflichtung zu einer periodisierten Fortschreibung des Sicherheitskonzepts, die diesbezüglich eine effektive Kontrolle ermöglichen könnte.

274
Das Fehlen hinreichender Sicherheitsstandards im Telekommunikationsgesetz kann auch § 9 BDSG in Verbindung mit der zugehörigen Anlage nicht ausgleichen. [...]

275
Insgesamt ist damit ein besonders hoher Sicherheitsstandard für die nach § 113a TKG zu speichernden Daten nicht in verbindlicher und normenklarer Form gewährleistet. [...]

276
Die Bestimmungen zur Übermittlung und Nutzung der Daten gemäß § 113b Satz 1 Halbsatz 1 TKG genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. [...]
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Und so geht es laufend weiter.
Sieht man dieses Urteil im Zusammenhang mit BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010 (Hartz 4-Urteil), ahnt man, dass das Fass der Arroganz von Regierung und Oberschicht überzulaufen beginnt.
Noch führen die Gewerkschaften ihre Mitglieder hinters Licht und machen die Kirchen mit dem Klüngel der Macht gemeinsame Sache, um das Volk ruhig zu halten, aber wer 40 oder 50 Stunden in der Woche hart arbeitet, um seine Familie und sich über Wasser halten zu können, und dann noch zum Amt kriechen muss, um um "Aufstockung" zu betteln, damit ein Unternehmen sich seine Profite auf Umwegen aus Steuern finanzieren lässt, steht nicht allein, sondern sieht sich mit all jenen in einem "Fass", die aus anderen Gründen zwingend auf eine Unterstützung durch die Solidargemeinschaft angewiesen sind.
Gleichzeitig führt eine übermütig gewordene Wohlstandsclique ihre Narrheiten in aller Öffentlichkeit auf und schämt sich nicht, ihre Verschwendungssucht im Fernsehen beweihräuchern (und dadurch auch dokumentieren zu lassen, während Banker mit den staatlichen Rettungsgeldern weiter zocken und Boni auskehren, ohne wie bisher in Haftung für ihr schädliches Unwesen genommen zu werden.
Das soll gut gehen?
Langsam beginnen die Medien sich zu "drehen", weil sie zu lange auf dem Parkett der Macht devot mitgetanzt und ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben. Sie holen ihre Informationen und Beurteilungen zunehmend nicht mehr von den Netzwerken des Establishments ab, sondern gehen immer mehr "vor Ort", um sich selbst ein Bild zu machen, was die Westerwellen hinweg zu spülen drohen. Sie bemäkeln jetzt plötzlich auch, dass sich FDP-Ministerien frühere Lobbyisten als "Fachleute für Reformen" ins Haus holen und großzügig bestallen.
Das soll wirklich gut gehen?

Das Bundesverfassungsgericht hat mit den beiden Urteilen mächtige Pflöcke eingeschlagen, an denen sich wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen für die weitere Zukunft festmachen müssen. Die allerkleinste Schlamperei bei der Neuregelung von Ermittlungsmethoden zur Festsetzung eines Existenzminimums oder bei der Normierung des Rahmens für die Vorratsdatenspeicherung sowie vor allem der Zugriffmöglichkeiten wird kein neues langwieriges Verfahren vor dem BVG notwendig machen. Da kann unter Verweis auf die sehr klaren und ausführlichen Aussagen in den Urteilen bereits mit einem Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung alles zu Fall gebracht werden. Und das wird auch ein Bundespräsident so sehen, ehe er sich traut, neuerdings ein stinkfaules Gesetz zu unterzeichnen.

Eine Meinung zu haben ist das eine. Aber wenn eine Meinung sich nicht auf Sachverhalte und eher nur auf Emotionen stützt, ist sie nicht ernst zu nehmen.
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