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Atomstrom=Ökostrom BigBossBigge
xafford ChrE „Atomstrom=Ökostrom“
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Hmmm... mal abgesehen davon, dass dies vordergründig wirklich erst einmal ein Etikettenschwindel ist, wie naiv muss man sein zu erwarten es würde anderst laufen? So blöd es klingen mag, Ökostrom ist eine begrenzte Ressource, zumindest hier bei uns und mit derzeitigen technischen Möglichkeiten. Die Spargel in der Landschaft, Windkraftanlagen genannt, sind zwar ein schönes Feigenblatt für den modernen CO2-Krieger, aber für eine zuverlässige Energieversorgung eines indeuriell hochentwickelten Landes, dessen Bevölkerung Wert auf den Komfort legt bei nächtlicher Windstille auch noch Strom zu haben denkbarst ungeeignet, wie auch Solarkraftwerke. Mangels flächendeckender Versorgung mit großen Flüssen und kleiner Küstenlinie ist auch Wasser- und Gezeitenkraft ein begrenztes Gut und wenig geeignet die morgendliche Milch kühl und das mittägliche Essen warm zu halten. Auch die geeigneten Grundstücke für Erdwärme sind in oder bei Großstädten dünn gesäät, von den bisher unerforschten und unbekannten Seiteneffekten des Wärmeentzuges von Tiefengestein ganz zu schweigen.

Aber den modernen Gotteskrieger in Sachen Ökostrom interessiert das wenig... der Strom muss Öko sein, der Sprit Bio, um jeden Preis, auch wenn die Vogelschwärme an den Rotoren kleben, die Weizenfelder nur noch hochenergetisch Diesel liefern und das Flussbett versandet, hauptsache dass Gewissen ist beruhigt und die Wohnung warm. Da stört es auch nicht, wenn der Pufferstrom für die antizyklische Wind- und Solarenergieerzeugung aus Kohlekraftwerken kommen muss, weil die Atomkraftwerke ja pfui und deswegen abgeschaltet sind. Schließlich ist es politisch unkorrekter atomaren Restmüll in Salzstöcken einzulagern und den Generationen nach uns zu hinterlassen, als den fossilen Restmüll unsichtbar und gewissenskonform in der Atmosphäre zu hinterlassen, denn an den Folgen sind ja die bösen Nachbarn schuld.

Aber mal weg von der Polemik... dem gemeinen Elektron sieht man nicht an ob es nun mal ein kleines Uranatom, oder ein glückliches Wassermolekül aus Freilandhaltung in einem norwegischen Fjord war und die Welt ist ein Dorf, zumindest was unsere Biosphäre angeht. Auch ein in Kamtschatka produziertes SO4 Molekül fällt uns früher oder später mal auf den Kopf, selbst ohne Visum und EU-Mitgliedschaft. Insofern hilft es uns auch, wenn unser Ökostrom nihct vor der Haustür, sondern ein paar Ecken weiter bei Björn Stroustroup produziert wurde, und wenn genügend Menschen für Ökotrom bezahlen, der auch mit der laschen Reglementierung im Endeffekt produziert werden muss (die Gesamtmenge muss stimmen), so nutzt uns das früher oder später, denn wenn die benötigte Menge an Strom, die wir abrufen in Norwegen ökologisch erzeugt wird, muss sie nicht hier bei uns durch verbrennen wertvoller und schmutziger Kohle erzeugt werden.

Nicht falsch verstehen, ich bin alles andere als gegen nachhaltige und ökologische Erzeugung von Strom, aber man (oder besser unsere dekandente und verwöhnte Gesellschaft) solltesich erst einmal von ein paar bequemen, aber scheinheiligen Vorstellungen trennen. Auch der sogenannte Ökotrom hat viele, unter anderem bisher wenig erforschte, Nebeneffekte. Ein paar (mir bekannte) will ich hier mal exemplarisch aufzählen:


  • Windkraftanlagen verändern das Kleinklima

  • Windkraftanlagen erzeugen tieffrequente Töne, die die Fauna beeinflussen

  • Windkraft ist unzuverlässig und somit wenig geeignet eine zuverlässige Energieversorgung zu garantieren

  • Die Gesamt-Energiebilanz einer Windkraftanlage, wenn man Lebenszeit und Herstellung mit einrechnet ist plötzlich gar nicht mehr so positiv

  • Solarkraft ist in unseren Breiten nur bedingt effizient und die Lebensdauer von Solarzellen begrenzt

  • Die Herstellung von Solarzellen ist energieintensiv und deren Entsorgung wird gerne vergessen

  • Der Wirkungsgrad von Solarzellen ist immer noch gering (in der Praxis unter 20%, im Labor nicht viel höher)

  • Die Erzeugung von Solarenergie ist extrem antizyklisch, Stromspitzen sind in unseren Breiten in den frühen Morgenstunden und Abends / Nachts

  • Wasserkraftanlagen greifen massiv in das Flussbiotop ein, sofern diese überhaupt noch existieren

  • Geeignete Flüsse sind bei uns dünn gesäät

  • Die geeigneten Flüsse sind meist gleichzeitig die Hauptadern der Binnenschifffahrt, eines der Energieoptimalsten Beförderungsmittel für Schwergüter, die wir haben

  • Fischtreppen sind eine nette Idee, nur leider mögen die wenigsten Fische treppensteigen, auch hier wird massiv in ökologische Kreisläufe eingegriffen

  • Gezeitenkraftwerke können eine sinnvolle Energieerzeugung sein, aber was nützt es uns, wenn Flensburg, Kiel und Hamburg Strom haben und der Rest nicht (nur noch Olaf würde hier posten und seine Postingzahl noch mehr steigen)

  • Die Speicherung bzw. Pufferung antikylischer Energieerzeugung ist immer noch ein ungelöstes Problem (nein, Erzeugung von Wasserstoff ist hier keine Lösung)

  • Stromnetze brauche eine stabile Versorgung und hier ist nicht nur eine gleichmäßige Versorgung über den Tag gemeint, sondern ein glatter Strom mit Reserven für unerwartete Spitzen, die kurzfristig abrufbar sein müssen



Ich breche die Aufzählung hier mal ab, aber wie gesagt, nicht falsch verstehen. Das sollen alles keine Gründe gegen Ökostrom sein, nur Dinge, die man bedenken sollte, um sich von der Vorstellung zu trennen, Ökostrom wäre 100% Öko, denn jeder erzeugte Strom greift in den Naturkreislauf ein, der eine mehr, der andere weniger, aber den meisten ist eines gemeinsam: Sie sind nur bedingt geeignet unseren Lebensstil in Punkto Energieversrogung sicher zu stellen. Auch in Kombination reichen sie nicht um dies zu garantieren, zumindest in der heutigen Form. Zu verbreitet ist der Gedanke, dass alles schon in Ordnung ist mit unserem Energiekonsum, sofern das Siegel "Öko" darauf klebt. Ich kenne persönlich Leute, die seelenruhig mit ihrem Minivan zum Bäcker fahren, weil er ja mit Biodiesel fährt. Dass ihr Biodiesel derzeit noch mit negativer Ökobilanz produziert wird, die komplette Umwandlung aller Agrarflächen in Deutschland nicht für eine flächendeckende Versorgung reichen würde, die Grundpflanzen den Boden ausmergeln und die Monokulturen immensen Einsatz von Pestiziden und Dünger (auch ein knapp werdendes Gut) erfordern würden wollen sie natürlich nicht hören.

Energieversorgung ist ein globales Problem, ebenso wie Umweltverschmutzung und Klimaveränderung, und es ist ein Problem in den Köpfen und Geldbeuteln. Auf der einen Seite stehen Energiegiganten, die massiv Gewinne privatisieren und Folgeschäden verallgemeinern, auf der anderen Seite der moralische Bürger (die meisten sogar mit doppelter Ausführung der Moral), der nicht auf den 72 Zentimeter TFT und 24° Raumtemperatur verzichten will, beide ziehen an unterschiedlichen Seiten des Strages, aber letztendlich beide in die gleiche Richtung. Eine Lösung wird es wohl nur geben, wenn die Konzerne mit ihren Gewinnen haften und der brave Bürger versteht, dass der einzige Ökostrom derjenige ist, der nicht produziert werden muss. Zudem sollten wir uns nicht darüber aufregen, wenn der "saubere" Strom in Trondheim produziert wird und nicht vor unserer Haustür, sofern er produziert wird und in der Summe dafür vielleicht ein Kohlekraftwerk in der Nachbarschaft abgeschaltet werden kann. Vergessen darf man dabei jedenfalls nicht, dass zur Sicherung einer verlässlichen Energieversorgung derzeit die Vorhaltung konventioneller Kraftwerke schlichtweg aus Sachzwang nötig ist, und da ja die böse Atomkraft demnächst wegfällt bedeutet dies, dass deren Wegfall zum Großteil durch neue (ach so ökologische) Kohlekraftwerke ersetzt werden wird, denn so steht es geschrieben.

PS: Sorry für den langen Erguss, aber ich habe mich gerade die Tage wieder über so einen (schein-)heiligen Ökokrieger mit 3 Liter Ökodieselbomber aufgeregt, der mir erklären wollte, wie ökologisch doch seine Pelletheizung ist während er mit T-Shirt bei 24° im Wohnzimmer saß.
Pauschalurteile sind immer falsch!!!
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